Genius Loci , der Geist eines Ortes -von Veränderung und der Beständigkeit der Dinge
Heute schloss ich zum letzten Mal die Türen des Studios und ich nahm mir einen Moment, um die Zeit Revue passieren zu lassen. Das Studio hat mich viele Jahre begleitet – auch schon in meiner Überwinterung, denn ich hatte durch meine Freundin Johanna, die ich schon aus Köln kannte, von Beginn an die Möglichkeit hier ein paar meiner Sachen zu verkaufen.
Als dann irgendwann klar war, dass ich mein Atelier hierher verlegen würde, war ich natürlich sehr happy über diese Möglichkeit.
Jeder Ort hat eine Geschichte und einen besonderen Geist. So war an diesem Ort früher mal ein kleiner Supermarkt und seine Spuren konnten wir noch sehen, denn er hatte uns Lüftungsgitter in den Oberlichtern hinterlassen, was uns zwar viele Fliegen bescherte, aber auch eine gute Luftzirkulation.
Wir – das heißt viele kreative Menschen, unsere Kunden aus allen möglichen Ländern, viele Gespräche – füllten ihn über mehrere Jahre nun mit neuem Leben. Und auch hier entstand einer neuer „Geist“.
Es heißt, Orte haben eine besonderen Geist. Den sogenannten Genius Loci.
Haben Orte eine Erinnerung?
Orte sind vergänglich, aber dennoch bleiben sie. Sie verändern sich.
Jeden Ort, den du auf der Welt schon mal besucht hast, war schon vor Dir da und wird auch noch nach Dir da sein.
Fragst Du dich manchmal: Was war hier früher? Wer hat hier gelebt? Oder gab es hier Wald? Wiese? Vielleicht Wasser?
Die Natur verändert sich. Die Menschen verändern die Natur jedes Wesen auf dieser Welt verändert einen Ort.
Menschen bauen Häuser oder Infrastrukturen. Die Menschen in den Häusern verändern sich.
Die Räume, in denen du lebst, wer hat dort vorher gelebt?
Welches Lachen, welche Sorgen oder welche Trauer, welches Leben hat diesen Ort erfüllt?
Manchmal weiß man etwas über die Vergangenheit von einem Ort, manchmal auch nicht.
Du hast die Möglichkeit, ihn mit einem neuen Leben einzuhauchen.
Aber auch du wirst irgendwann diesen Ort verlassen. Und der Ort bleibt.
Und er wird sich wieder verändern.
Denn neue Menschen kommen an diesen Ort und Du ziehst weiter.
All das ist der sogenannte „Genius Loci“, der Geist eines Ortes.
Der Begriff stammt übrigens aus der Antike. In der Architektur und Kunst beschreibt er den Charakter, die Seele eines Ortes. Orte sind nicht nur funktionale Räume, sondern lebendige Umgebungen, die unsere Gefühle und Wahrnehmungen formen und spiegeln.
Die Requisiten meiner Vergangenheit
Ich habe jahrelang als Requisiteurin bei Film und Fernsehen gearbeitet und Orte geschaffen, die die Geschichten von Menschen widerspiegelten. Räume, die ihre eigene Atmosphäre hatten und für einen Moment zum Leben erweckt wurden – nur um sie am Ende des Drehs wieder abzubauen und zu verändern. Diese flüchtigen Räume waren fast wie Theaterbühnen, die eine Geschichte erzählten, während der eigentliche Ort für immer weiter existiert. Orte sind vergänglich und doch bleiben sie, weil sie immer wieder neu interpretiert und umgestaltet werden.
So ist auch das Studio ein temporärer Raum gewesen, ein Ort, der für eine Zeit eine bestimmte Geschichte erzählte und seine eigene Atmosphäre hatte.
Orte sind vergänglich – die Erinnerungen bleiben
Wenn ich also an mein Atelier denke, sehe ich es nicht als verlorenen Raum. Es ist ein Ort, der sich verändert hat und sich weiter verändern wird, denn Orte leben, solange wir sie in uns tragen. Jeder Raum, jedes Gebäude, jede Landschaft kann uns etwas über seine Vergangenheit erzählen.
Wie Marc Augé in „Nicht-Orte“ beschreibt, gibt es Räume, die uns kaum berühren – und solche, die uns tief prägen, weil sie so viel Identität besitzen.
Für mich besteht die Aufgabe der Architektur, der Kunst und des Designs darin, den Genius Loci eines Ortes zu spüren und ihn in unserer Arbeit weiterzutragen. Meine Produkte tragen die Geschichten ihrer Materialien, Farben und Formen in die Welt und schaffen vielleicht auch einen neuen Raum, eine neue Erinnerung, an die sich ihre neuen Besitzer erinnern werden.
Fazit: Der Geist bleibt
Orte ändern sich, Menschen ändern sich. Und doch bleibt der Geist – die Erinnerungen, die ein Ort geweckt hat, das Gefühl, das er in uns ausgelöst hat. So wie die Produkte, die ich aus dem Studio heraus geschaffen habe:
Sie tragen ihre eigene Geschichte in sich und sind doch bereit für eine neue Umgebung, ein neues Zuhause.
Vielleicht liegt der wahre „Genius Loci“ ja darin, offen für das Unbekannte zu bleiben und das Leben in seiner Vielfalt und Wandelbarkeit anzunehmen. Wenn wir uns für den Geist eines Ortes öffnen, erleben wir ihn auf eine ganz besondere Weise – und geben ihm die Möglichkeit, uns ebenso zu prägen.
So wie das Studio Teil meiner Reise war, so wird auch der neue Ort, an dem ich arbeite, seinen eigenen Charakter entwickeln.
Auch er wird eine neue Geschichte erzählen, die ich Stück für Stück mit meiner Arbeit und meiner Kreativität fülle.
Orte sind vergänglich, doch das, was wir dort erleben, bleibt in uns und in dem, was wir erschaffen. So wird auch dieser Raum, den ich nun verlasse, weiterleben – in Erinnerung und in den Produkten, die hier ihren Anfang genommen haben.
Es bleibt spannend wie die Reise in meinem neuen Raum weitergehen wird.
Alles Liebe für Euch,
Eure Julia
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